Die Klosterfliege

Foto: pixabay.com
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"Ich bin ein Suchender!" Diese Aussage trifft meinen Wesenskern. Schon immer war ich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach Erkenntnissen, Antworten und Hintergründen. Etwas zu hinterfragen ist für mich zur Selbstverständlichkeit geworden. Jedenfalls versuche ich, das Leben mit seinen Höhen und Tiefen zu verstehen.

 

Beschreibt das auch Deinen Charakter?

 

Wenn Du meine Blogbeiträge kennst, dann weißt Du: Vor allem die Fragen "Warum wird ein Mensch krank, und wie wird er wieder gesund?" haben es mir angetan. Mit meinen Artikeln versuche ich, meinen Lesern neue Blickwinkel aufzuzeigen und Antworten zu liefern.

 

Ich habe sicherlich noch nie erwähnt, dass ich froh bin, eine Lektorin zu haben. Sie heißt Anne und erleichtert mir meine Arbeit sehr. Anne durchforstet meine Texte akribisch nach Wortwiederholungen, Rechtschreibfehlern oder verwirrenden Satzformulierungen. Und, es ist zum Haare raufen! Ich setze immer Kommas dorthin, wo keine hingehören und umgekehrt. ;)

 

 

Anne und ich sprachen neulich über das Problem, dass wir Menschen manche Dinge einfach nicht überblicken.

Bei dieser Gelegenheit erzählte sie mir von einer Beobachtung an ihrem ehemaligen Arbeitsplatz:

 

"Meine letzten zwölf Arbeitsjahre als Bibliothekarin verbrachte ich im Denkmal, einem rekonstruierten, sanierten und modernisierten Klostergebäude aus dem 15. Jahrhundert, aus Backsteinen gebaut, mit hohen Decken und langen schmalen Fenstern.

 

Es gab auch einen über eine Treppe erreichbaren kleinen Aufenthaltsraum, in den ich mich nach den ersten täglichen Arbeitsvorbereitungen vor Beginn der Öffnungszeit gern für eine kleine Ruhepause zurückzog. Eines Morgens hatte sich dort eine Fliege eingefunden, summend und brummend fuhr sie im Zimmer herum und störte mich beim Frühstück. Zwar hatte ich die Tür weit geöffnet, aber mir war klar:

 

Selbst wenn sie den Ausgang fände, wäre sie doch immer noch im Kloster, irgendwo zwischen den Bücherregalen, es sei denn, sie käme rein zufällig in die Nähe eines der geöffneten Fenster. Dorthin zu gelangen war im Grunde ein Leichtes, sie musste nur die Treppe hinunterfliegen, d. h. die Lösung ihres Problems war eigentlich sehr nah, nur leider wusste sie nichts davon. Statt dessen schwirrte sie um meinen Kopf herum, vielleicht in Todesangst, sofern Fliegen in der Lage sind, etwas wie Angst zu empfinden.

 

Und in der Tat würde sie möglicherweise sterben, wenn sie den Weg in die Freiheit nicht durch Zufall fände. Ich konnte sie nur zur Tür hinausjagen, doch ich konnte sie unter keinen Umständen dazu bringen, die Treppe hinunter und zum Fenster hinaus zu fliegen, eine derart planvolle Aktion geht einfach über die Fähigkeiten einer Fliege hinaus.

 

Zu jener Zeit dachte ich viel über die großen Fragen des Lebens nach. Was treibt uns an, worin besteht unser Wesen, wer bestimmt unser Handeln, sind wir es selbst, oder werden wir gelenkt, und wenn es so ist, warum wissen wir es nicht, warum gelingt es uns nicht, den Schleier zu lüften, hinter dem sich das Wissen verbirgt und die Wahrheit?

 

Gibt es Instanzen, die wir nicht kennen und nicht wahrnehmen und die dennoch existieren und vielleicht unser Schicksal lenken auf einer Ebene, zu der wir keinen Zugang haben?

 

In diesem Kontext schien mir die wilde und erfolglose Suche der Fliege nach dem Ausgang in die Freiheit wie eine Metapher der menschlichen Existenz. Auch wir suchen wie wild irgendein Ziel, so dachte ich, und gelangen doch nicht über unsere Grenzen hinaus. Im Vergleich zu den Fliegen sind wir freilich großartig und unheimlich vorausschauend. Nach der anderen Seite hin jedoch sind wir blind, dort endet unser Horizont. Wir können uns auf den Kopf stellen, wir werden nicht erfahren, was dahinter ist.

 

Wir können Vermutungen anstellen, wir können forschen, berechnen, messen, vergleichen, Fakten ansammeln, es bleibt immer ein Areal, wo wir nicht hingelangen. Dort endet unsere Kompetenz, und es beginnt etwas Anderes, das sich unserem Wissen und unserer Erfahrung entzieht. Man kann es Gott nennen, wenn man den Mut dazu hat. Man kann es auch negieren, aber ob das eine gute Idee ist?

 

An jenem Morgen im Kloster schien mir der Unterschied zwischen uns und den Fliegen eher quantitativer Art zu sein..."

 

 

Der Weg in die Freiheit...

Danke für diese Geschichte, Anne! Auch ich hatte schon einmal ähnliche Gedanken, als ich in meiner Praxis tote Fliegen vom Fensterbrett entfernen musste. Die Tierchen orientierten sich zwar an der Nähe des Lichts, doch das Fenster in die Freiheit war verschlossen...

 

Ist der Mensch wie ein Insekt? Irrt er in seinem Leben in irgendwelchen Räumen umher und weiß nicht, wo es in die Freiheit geht?

 

Auf unserem individuellen Entwicklungsweg fragen wir uns regelmäßig:

 

"Warum passiert mir das? Weshalb bin ich krank geworden? Wieso habe ich dieses oder jenes in mein Leben gezogen?" und spüren, wie unfrei wir dadurch sind...

 

Ist das Rätselraten über die Ursachen von irritierenden Ereignissen wie das Umherirren dieser Klosterfliege? Wenn das so ist, wie schaffen wir es dann, den Ausweg zu finden?

 

 

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